WestEnd DVD-Katalog/Musikfilm (K)
4 Punkte von Lars Tuncay:
Macclesfield Mitte der Siebziger: ein langweiliger, grauer Vorort, der in Anton Corbijns Schwarz-Weiß Bildern noch trostloser wirkt. Und doch wurde in den Suburbs von Manchester der Grundstein gelegt für eine der wichtigsten Bands der britischen Musikgeschichte. Deshalb hat sich der Videoregisseur und Fotograf Corbijn (u.a. für U2 und Depeche Mode) für seinen ersten Spielfilm dieses miefige Kaff ausgesucht. Hier fristete Ian Curtis Ende der Siebziger ein klägliches Dasein als Berater beim örtlichen Arbeitsamt und schrieb in seiner Freizeit an düsteren, depressiven Gedichten. Bis Debbie und die Musik in sein Leben traten. Ein Besuch beim legendären Sex Pistols-Konzert in Manchester änderte alles. Fortan füllt Ian den vakanten Posten als Sänger bei Warsaw, der Band seiner Kumpels. Erste Gigs und das Zusammentreffen mit dem TV-Moderator Tony Wilson brachten ihnen einen Plattenvertrag ein und schon bald kannte sie auch außerhalb Großbritanniens jeder unter dem Namen Joy Division. Doch Ian war unglücklich und seine Epilepsieanfälle häuften sich. Ins Scheinwerferlicht geworfen und mit der Verantwortung für Frau und Kind verlor er zunehmend die Kontrolle.
Corbijns Biopic beschwört von der ersten Szene an die Liebe zur Musik, wenn Ian sich durch nichts ablenken lässt, um nach Hause zu kommen und die neue Bowie-LP zu zelebrieren. Basierend auf dem Buch von Curtis’ Frau Deborah und produziert von den noch lebenden Mitgliedern Joy Divisions, die später als New Order die elektronische Musik revolutionierten, gelingt dem Holländer ein intensiver, erstaunlich unaufgeregter Erstling mit faszinierenden Bildern, die nachhaltig in Erinnerung bleiben.
3 Punkte von Björn Siebert:
Mark E. Smith, Sänger von Manchesters größter Post-Punk Legende The Fall, hat einmal behauptet, in Manchester geben es zwei Arten von Industrien, die eine produziert Tote, die andere lebt von ihnen. Diese kleine Stichelei, gegenüber Joy Divisions Plattenfirma Factory, die mit dem Tod von Curtis ihren Ruhm auf ewig gesichert hatte beinhaltet leider einen waren Kern. Und dieser lässt sich schlussendlich auch auf diesen Film Control von Anton Corbijn anwenden. Nur logisch, dass Mark E. Smith Zielscheibe des geschmacklosesten Scherzes in diesem Film ist. Joy Division war neben The Fall die einflussreichste Band aus Manchester. Ihr Label Factory hatte damals einige vielversprechend düstere Acts unter Vertrag. A Certain Ratio, The Passage oder auch Durutti Column, doch Joy Division spielten sich am zielsichersten ins kalte Herz des einheimischen Publikums. Corbijns Film will jedoch nichts über die Band Joy Divison erzählen, er interessiert sich alleine für die Person Ian Curtis und die Umstände hin zu seinem Selbstmord. Die Fakten stammen dabei aus dem Buch „Touching from an Distance“ von Deborah Curtis, welches auch schon die wichtigen Joy-Divison-Buch-Kapitel von Simon Reynolds Post-Punk-Monographie„Rip it up and start again“ oder auch David Thomsons Musik-Büchern als Quelle diente. Fakten, die Curtis letzte gehörte CD (Idiot von Iggy Pop) und seinen letzte geschauten Film (Strozek) von seinem Lieblingsregisseur (Werner Herzog) einschließen. Werkstreue nennt man das. Der Film Control schaffte es durch ungeheure Anstrengungen, die man dem Film leider auch in jeder Sekunde ansieht, diese Zeit um die Jahre 1978 und 1979 zu rekonstruieren und in fahle S/W-Bildern zu übertragen. Thematisch lässt Corbijn die Verortung der sozialen, politischen und gesellschaftlichen Realität der Zeit sowie die Einordnung der Musik Joy Divisions und der stilbildenden Momente der kurzen Bandgeschichte komplett aus. Z.B. werden die unrühmlichen Nazi-Posen und Nazi-Possen der Band hier als jugendliche Verirrungen angedeutet, während Hook nach Curtis Tod (der hier leider komplett als Grenzdebiler rüberkommt) andeutete, dass gerade er und Gittarist Sumner mit diesen Schocksymboliken spielte. Curtis beschäftigte sich mit Deutschland gerade wegen der Berliner Phase seiner Helden, Iggy Pop, Lou Reed und David Bowie. Vieles hat die Band damals auch von den Banshees (Harkenkreuzskandal) gelernt, anderes von Genesis P-Orridge und Konsorten übernommen. Hat Ian Curtis Selbstmordversuch vielleicht auch etwas mit der Tablettenüberdosis vom Throbbing Grizzle Frontmann Orridge, dem persönlichen Freund Curtis’ zu tun? Schockierende Ähnlichkeiten lassen sich nicht von der Hand weisen.
Musikalisch wird leider im Film keine Aufklärung betrieben, der Streifen strampelt sich durch blöde Buzzcocks Witze in die Bedeutungslosigkeit. Die Personalie Martin Hannett, ohne dessen Soundvisionen und Songmixes die Band wahrscheinlich schnell als üble Post-Punk-Variante eines schwermetallischen Black-Sabbath-Sounds entlarvt wurden wäre, wird lieber gar nicht erst erwähnt. Das Geheimnis um die Person Curtis, war der Fakt des Leidens. Er beschäftigte sich mit dem Leid des Menschen, konnte mit den Menschen leiden und er litt selbst. Er war gerade einmal 23 Jahre alt als er sich das Leben nahm. Corbijn findet dabei immer den richtigen Moment für den richtigen Song. Unschwer bei den ganzen schwermütigen Songtexten die Curtis in seinem kurzen Leben geschrieben hat. Doch Corbijn erspart sich eine genaue Untersuchung der Person Curtis. Was, wie es die Interviews der ehemaligen musikalischen Wegbegleiter andeuten, wenn keiner irgendwas über diesen jungen Curtis wirkliche gewusst hat? Dann sind wir Corbijn mit dieser doch sehr einfach konzipierten Liebesgeschichte eines Mannes zwischen Erfolgsdruck, unheilbarer Krankheit, familiären Ängsten und der Entscheidung zwischen zwei Frauen auf dem Leim gegangen.
Anton Corbijn, gefeierter Portraitist diverser berühmter Musiker, fotografischer Begleiter und Stielbildner, glaubt allein durch seinen Lebenslauf der richtige Regisseur für diesen Film, seinen Erstling als Kinofilmregisseur, zu sein. Leider bestätigt das Ergebnis den Verdacht, dass ernste Anstrengungen trotzdem nötig sind um diese zur genüge erzählten Selbstmordgeschichte interessant und lohenswert fürs Kino zu gestalten. Corbijn, der vor allem durch seine Depeche Mode Videos berühmt wurde, in denen die Band oder Davin Gahan alleine, mit allerlei skurrilen Einfällen durch die Gegend läuft, wandert oder rastlos umherschweift, hat auch hier seine stärksten Momente wenn er die Kamera und seine Schauspieler in Bewegung setzt. Curtis der zur Arbeit mit seiner Lederjacke die Straßen herunter läuft zum Beispiel. Leider setzt Corbijn in der Bildgestaltung aber lieber auf geplante und sorgfältig ausgewählte Tableaus, wie bei einem gelernten Fotografen nicht unüblich. Daraus entsteht ein statischer Film, der seine Charaktere immer ins Bild einfriert. Nicht nur Curtis (was metaphorisch ja auch Sinn m
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