WestEnd Drama - Hollywood
5 Punkte von Lars Tuncay:
Freiheit, eins sein, mit der Natur – diese Gedanken treiben die Menschen seit jeher an. Ein Wunder eigentlich, dass wir es überhaupt in unserer von Regeln und Kompromissen geprägten, unnatürlichen Welt aushalten. Christopher McCandless hat genug davon. Der 22jährige hat gerade den College-Abschluss mit Auszeichnungen in der Tasche, und soll nun, ginge es nach seinen Eltern, ein Jurastudium in Harvard beginnen.
Doch hinter der familiären Idylle verbergen sich Abgründe: sein Vater führte jahrelang ein Doppelleben, Chris und seine Schwester Carine sind eine uneheliche Belastung für den verbitterten Mann und die Mutter ergab sich schon vor langer Zeit willenlos ihrem Schicksal. Kein Wunder, dass Chris nur noch weg will. Er packt seinen Rucksack mit dem Nötigsten, lässt den versprochenen Neuwagen hinter sich, zerschneidet seine Kreditkarten und tauscht Sakko und Fönfrisur gegen T-Shirt, Jeans und Bart.
Ziellos streift er durch die Staaten und genießt die Freiheit. Auf seinem Weg trifft er Gestrandete, Verrückte, Hippies und Freigeister. Bis er sich seines Ziels bewusst wird: in der Wildniss Alaskas will er im Einklang mit der Natur leben und der Zivilisation endgültig den Rücken kehren.
Inspiriert durch einen Zeitungsartikel über einen 24jährigen, der allein in einem alten Bus im unwirtlichen Norden Amerikas gefunden wurde, verfasste Jon Krakauer Anfang der Neunziger zunächst eine Reportage und griff die Ereignisse in seinem Buch INTO THE WILD erneut auf. Mit dem Bestseller schuf er eine Stimme für die frustrierte No-Future-Generation. Idealer Stoff für den Humanisten Sean Penn. Gemeinsam mit seinem Hauptdarsteller Emile Hirsch folgte er McCandless Spuren. Hirsch hungerte sich dafür 20 Kilo seines Körpergewichts vom Leib und sieht am Ende der Reise selbst aus, wie eine wandelnde Leiche. Seine intensive, aufopferungsvolle Darstellung bringt uns gemeinsam mit den Tagebucheinträgen das Innere des Reisenden näher.
Untermalt wird der Trip von den ur-amerikanischen Songs der Grunge-Ikone Eddie Vedder, die die einzelnen Kapitel der Erzählung einleiten. Von der (Wieder-)Geburt, über Kindheit, Mannesalter und Familie, bis hin zur Weisheit durchleben wir Christophers Stadien der Erkenntnis und entdecken tief in uns selbst den Wolf, der nach der Wildnis dürstet.
2 Punkte von Björn Siebert:
Sean Penn ist ein bemerkenswerter Schauspieler und Querdenker, seine Rollenwahlen sind exquisit, seine Filmographie kann sich sehen lassen, seine letzten Regiearbeiten waren auch nicht schlecht, umso unverständlicher dieser Film hier. Ein Aussteigerdrama, dass Hippie-Atmosphäre schnuppert, so wie damals in der guten alten Zeit des amerikanischen Kinos. Natürlich kommen einem da Filme wie das Gangsterdrama „Badlands“ von Terrence Malick in den Sinn, aber natürlich noch viel mehr die Aussteigerwestern Bad Company (R: Robert Benton) und Jeremiah Johnson (R: Sydney Pollack). Alles 70er Jahre Filme aus der Blütezeit des Hippietums. Das waren natürlich auch großartige Naturfilme, denn das „Eins mit der Natur“, das musste auf der Leinwand spürbar werden. Penn hat seine Film gehörig versaut, denn wie kann hier das Aussteigerleben erfahrbar werden, wenn er den Film schneidet wie einen Actionfilm? Mir 12-15 Schnitten pro Minuten kommt einem da eher das amerikanische Blockbusterkino eines Michael Bay in den Kopf als ein sensibler Film über jemanden der genug von der Zivilisation hat. Penn lässt sich keine Zeit und hetzt von Überblendung zu Überblendung. Eine Landschaftsaufnahme dauert als Kamerafahrt gerade mal durchschnittlich 3 Sekunden dann folgt meist wieder eine Überblendung, wenn nicht sogar Splittscreen oder ähnlich Ungeheuerliches. Hier sollte man eigentlich mal eine Lobeshymne über den einfachen Schnitt schreiben, Überblendungen, muss das denn wirklich sein? Wenn man aber auch noch über den Film geschriebene Tagebucheintragungen, Off-Kommentare und Split-Screen ertragen muss, wünschte man sich förmlich Martin Scorsese auf den Regiestuhl. Oder noch besser Werner Herzog. Hätte Penn sich doch auf sein gutes Drehbuch oder die Schauspieler verlassen, nein, der Kameramann hat wirklich keinen Oscar verdient, was zum Geier macht der da? Kann der seine Kamera nicht länger als zwei Sekunden halten? Der Regisseur Penn hat erst recht keinen Preis verdient, zeitliche Sprünge, Rückblenden und Szenenteilungen, Kapitelunterschriften und Hubschrauber-Shots verwirren denn Film weiter und lassen gar nichts Spürbares mehr zurück. Und dann auch noch das: Die Natur wird zur Schau gestellt, als würde Penn einen Reiseführer für Pauschaltouristen planen. Man muss aber genau hinschauen, denn nach 3 Sekunden packt der Penn schon wieder eine Szene aus der bösen Stadtwelt aus, dass erinnert einen an ein typisches Gangsterrapper-Video von MTV. Kennt noch jemand den Film „In der Glut des Südens“ von Terrence Malick? Da wurde das Leben in der Natur in großartigen und trotzdem beängstigenden Bildern zum Spektakel, und gaben dem Film fast biblische Ausmaße. Das lag aber auch daran, dass Malick mit seinem Toningenieur noch das letzte Rauschen in den Weizenfeldern einfing, Penn lässt seine Szenen in denen nicht geredet wird mit laut gedrehten Songs beschallen. Die Musik ist nicht schlecht, aber die Entscheidung dafür ist schon grundlegend falsch. So reihen sich hier Szenen an Szenen, die alle nichts weiter tun als abbilden, erklären oder Stimmungen erhaschen. Gefühle, Raum und Platz für den Zuschauer bleiben versperrt. Aber damit bleibt auch die zentrale Figur im Film versperrt. Das ist schon alles ärgerlich genug, da setzt die blöde, ultra-kitschigen Off-Stimme der Schwester mit ihren Erklärungen und Gedanken diesem Film die absolute Krone auf. „Into the Wild“ ist übelstes Hollywood-Kino, hirnlos zusammengeschustert, OK, nichts neues da drüben, aber von dem „Outlaw“ Sean Penn hätte man wirklich etwas mehr erwarten können. Wer mehr will, schaut sich im übrigen Werner Herzogs „Grizzly Man“ an, das ist ein Film über das „Aussteigen“, wer glaubt, das abhungern von 20 Kilo beim Hauptdarsteller ist eine Leistung die es zu würdigen gilt, kann da auf Werner Herzogs „Rescue Dawn“ warten. Da waren es am Anfang sicher ein paar Kilo mehr bzw. am Ende ein paar Kilo weniger. „Into the Wild“ kriegt ganz knapp noch 2 ganz magere Punkte.
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