5 Punkte von Thomas:
Wer mit Gedichten nichts anfangen kann, hat vielleicht keinen Sinn für das Prägnante und die Tiefe, wer dem aber Abhilfe schaffen möchte, sollte sich diesen kleinen Exkurs in die Poesie, nicht entgehen lassen. Ein, für meine Begriffe, äußerst gelungenes Experiment des relativ unbekannten Ralf Schmerberg, der es versteht ein Gedicht über ein Gedicht zu schreiben ohne der Aussage Abbruch zu tun. Eindrucksvoll brennen hierbei Kleider zu Heiner Müllers „Ich kann dir die Welt nicht zu Füssen legen“, leidet Hermann van Veen in Gedanken an seine verstorbene Tochter oder beben die Worte von Ernst Jandls „Glauben und Verstehen“, jeweils in einem der 18 Exzerpte, der vorrangig deutschen Dichter. Eine Huldigung der Worte in Schwere und Leichtigkeit, verwoben in fließender Farbenfreude und belebender Gewalt, die endend mit der „Ode an die Freude“ ein Schlachtfeld feuriger Emotionen hinterlässt. Applause, ein Schrei nach mehr und eine Frage nur, wo sind Nietzsche, Brecht und Schwitters?
4 Punkte von Susanne Schulz:
Ralf Schmerberg hat einen Fuß in die Luft gesetzt und sie trug ihn, denn sein Film „Poem“ ist ein berührendes, cineastisches Hörbuch für alle die Lyrik anders erleben wollen. Mitgenommen auf die Reise durch Gedichte von Hesse, Jandl, Tucholsky, Lasker-Schüler, Rilke und Mascha Kaléko, um nur einige zu nennen, versinkt man in Poesie, die Schmerberg wahlweise visuell begleitet oder kontrastiert. Leise fressen sich Flammen in Seide und Spitze von Hochzeitskleidern zu Heiner Müllers Versen, wird ein Kind geboren im „Sturm“ von Selma Meerbaum-Eisinger und Jürgen Vogel sitzt im Ballonseidenanzug inmitten seiner kreischenden Sippe. Seine Frau entflieht ihm und den Kindern in ihre eigene Welt – „eine einzige Stunde frei sein!“ Auf der Osterprozession der Büßer ist zwischen den dürren Beinen Jesu ein Stück Himmel zu sehen. Dann biedere Wohnzimmerwelten und das Bild vom Schäferhund über´m Bett – Erich Kästners „Kleines Solo“. Dokumentarische Episoden werden leichthändig mit inszenierten Szenen abgewechselt, die essayistische Anmutung läßt Platz für Gedankenspiele. Ungewöhnliche Orte und interessante Abstraktionen, unterstützt durch eine hochkarätige Riege von Darstellern und Sprechern – Hermann van Veen, Klaus-Maria Brandauer, Meret Becker, Paul Celan und Anna Thalbach u.v.a. ließen das mutige Vorhaben gelingen, Gedichte in ästhetisch wertvolle Bilder zu fassen ohne aufgesetzt zu wirken. Das sich am Ende Frauen- und Männerhorde zur „Ode an die Freude“ mit Farbbomben bewerfen, kann im Rückblick verziehen werden.
© der Film- und Personenbilder beim jeweiligen Studio/Vertrieb